Donnerstag, 8. September 2011

Er hat einen Traum von Al-Qaida

Ein aktueller Kommentar von Jochen Bittner auf www.zeit.de ist repräsentativ für eine Art von Halbwissen, das auch und gerade im Fall von 9/11 durch die Gazetten wabert. Der Ankündigungstext sagt eigentlich schon alles, was im Video kommt:
Al-Qaida hat mit Erfolg eine Ideologie gegen den Lebensstil des Westens angeboten. Doch die arabischen Revolten entziehen dem jetzt die Grundlage, kommentiert Jochen Bittner.
Das Video:



Unter exakter Frisur wird von Bittner ein Expertentum vorgespielt, das sich am Sprechtext dann nicht mehr wirklich ablesen lässt. Was hier unklar bleibt, ist zunächst: Wie steht es denn mit der islamistischen Bewegung, von der Al-Qaida ein Teil ist? Wird sie durch die dem Anschein nach 'demokratischen' Revolten denn geschwächt?

Schon der Laie weiß aus Nachrichtensendungen, dass Gaddafi in Libyen eher den westlichen Vorposten gestärkt hat. Dementsprechend, wenn auch selbst wieder abwägend, wenn nicht uneindeutig, äußert sich Hardy Ostry, Leiter des Teams Nahost der Konrad-Adenauer-Stiftung:
Beim Aufbau eines demokratischen Rechtsstaates werde man es nicht vermeiden können, mit diesen Kräften zu reden. Dies müsse aber auf der Grundlage klarer Wertvorstellungen und Kriterien erfolgen.
Die Einbindung der Stämme hält Ostry nicht für ausgeschlossen. „Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass es sicherlich im Interesse der Stämme ist, die ja alle auch von dem Reichtum und den Ressourcen des Landes profitieren wollen, in einem geordneten Übergang hier wirklich eine Einigung herbeizuführen“, sagte er.
Auf der ARD-Website braucht es dann einen Zuschauer-Kommentar, um einen Beitrag der Journalistin Golineh Atai im "Presseclub" hervorzuheben:
Die für mich wichtigste Information, die ich in dieser Klarheit im deutschen Fernsehen so noch nie gehört habe: es handelt sich in Syrien um einen islamistischen Aufstand, vorwiegend getragen von den Muslimbrüdern, die auch von ihren Gesinnungsgenossen im Ausland, besonders Ägypten, unterstützt werden. Herr Schönenborn fasste mit säuerlicher Miene zusammen: "Es handelt sich also nicht um eine Demokratiebewegung".
Statt sich mit solchen Ambivalenzen, Ungewissheiten und Gefahren abzuplagen, verfällt der "Zeit"-Journalist zunächst in ein tausendfach gelesenes und gehörtes Blabla vom Ende des Ost-West-Konflikts. Dann versteigt er sich in ein recht idiotisches Bild, in dem er Islamisten als Neider karikiert, die an der Ampel neben einem Porsche stehen und ihren Minderwertigkeitskomplex dadurch zu überwinden versuchen, sich dem Reicheren auf einer spirituellen Ebene überlegener zu fühlen.

Es ist hier zu aufwändig, die verpeilte Weltsicht Bittners im Detail aufzuarbeiten. Neben dem Thema 9/11 und Islamismus walzt er ja auch noch alle komplizierten Fragen danach platt, was ein richtiges, erfülltes Leben wäre (vermutlich nicht der Besitz eines Porsches, aber das hört die Anzeigenabteilung nicht gerne), was Gerechtigkeit sein könnte (jedenfalls nicht soziale Ungleichheit und blinder Ressourcenverbrauch) oder interkulturelle Verständigung (jedenfalls nicht blödsinnige und stigmatisierende Vergleiche).

Bittner verkörpert in diesem Fall den Typus eines alerten Jungkarrieristen, der mit substanzlosem Geschwafel (ob er seine Rolle durchschaut oder auch nicht) jene Strategien stützt, die außerhalb redaktioneller Gefilde der "Zeit" in der sachbezogenen Debatte kritisch befragt werden - vor allem, welche Interessen mit den Post-9/11-Kriegen ebenso bedient wurden wie mit vermeintlich demokratischen Frühlingen im Nahen Osten und Nordafrika.

Mit Bittners Schluss, dass der Westler als Porsche-Fahrer sich am Ende dieses Jahrzehnts doch "ganz glücklich" schätzen könne, wird hier nicht gekonnt, aber konsequent in die benachbarte Lifestyle-Rubrik einer in dieser Weise für politische Kultur nicht mehr wirklich relevanten Zeitung übergeleitet. Ihre Verkaufszahlen wird solch ein Stumpfsinn unter den gegebenen Umständen wohl noch steigern.

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